Chronik Teil 1

Chronik Teil 1

1911 – 1937

Das Wehlheider Hoftheater wurde unter dem Namen „Freie literarische Vereinigung von 1911“ von einer Gruppe theaterinteressierter Leute gegründet. Die Initiatoren dieser literarischen Vereinigung entschlossen sich, kleinere Theateraufführungen zu gestalten. In dem damals bestehenden Arbeiter-Fortbildungsverein bot sich hierzu die beste Gelegenheit, und so siedelte die „Freie literarische Vereinigung“ als „Kasseler Laienbühne von 1911“ in die Räume des Arbeiter-Fortbildungsvereins über, dessen Protektorin Frau Geheime Kommerzienrätin Henschel war, die die Laienbühne finanziell unterstützte. Damals noch unter den dürftigsten Bühnenverhältnissen wurden im Winterhalbjahr – die Spielzeit begann im Oktober – drei bis vier Vorstellungen gegeben (Eintrittspreis 20 und 50 Pf). Der Versuch, eine Musikkapelle zu gründen, misslang. Bei Ausbruch des 1.Weltkrieges wurde dem Theater der größte Teil der Spieler entzogen, und, obwohl die zurückgebliebenen Mitglieder die Spielgruppe zusammenzuhalten versuchten, brach die Theatergemeinschaft bis auf wenige auseinander. Diese Mitglieder schlossen sich mit dem Gedanken an eine neue Zuhörerschaft dem Turn- und Rasensportverein Wehlheiden e.V. an. Die Idee, im Winterhalbjahr – wenn die Betätigung auf dem Sportplatz eingeschränkt war – zu spielen und so die Jugendlichen von der Straße zu bringen, fand rasch Gehör, und so konnte das Theater anlässlich der Gründungsfeier des Vereins erstmalig mit einem größeren Festspiel vor ca. 2400 Zuschauern in der Stadthalle aufwarten. Jetzt handelte es sich darum, einen geeigneten Saal zu finden, und man entschloss sich nach langem Suchen für den Saal der Gastwirtschaft Wilhelm Umbach, Kirchweg 45, der 140 benutzbare Plätze hatte. Der verfügbare Bühnenraum hatte eine Größe von 31,5qm. Die „Theatergarderobe“ befand sich auf einer Kegelbahn, in der man sich teilweise nur in gebückter Haltung bewegen konnte. Im Winter, bei eisiger Kälte, waren die Spieler verpflichtet, jeder ein Brikett oder ein Körbchen Kohlen mitzubringen. Von der Theatergarderobe erreichte man die Bühne nur über einen nicht überdachten Hof. So stapften z.B. die „Ostgoten“ in „König Teja“ mit nackten Beinen bei 12 Grad Kälte durch den hohen Schnee.

  Zur Eröffnung des Theaters setzte man gleich fünf Spielabende im Monat fest. Jedoch waren die ersten Aufführungsabende ein großer Misserfolg, und so mussten sich die Mitglieder verpflichten, Dauerzuschauer zu werben. Während der ersten Spielzeit gewann das Theater eine feste Zuhörerschaft von 57 Besuchermitgliedern. Bald schon nannte man in Wehlheiden analog zum Kasseler Hoftheater das Wehlheider Kleinsttheater, dessen Aufführungsort ein im Hof gelegener Theatersaal war, scherzhafterweise „Wehlheider Hoftheater“. In der Zeit von 1920-1924 konnten alle fünf Abende vor ausverkauftem Haus abgewickelt werden.

   Durch Zwistigkeiten innerhalb des Verbandes brach der Wehlheider Turn- und Rasensportverein in einzelne Vereine auseinander, wodurch der Bühne ein wichtiger Rückhalt genommen wurde. Jedoch unternahm das Theater das Wagnis, sich selbständig zu machen. Es übersiedelte von dem kleinen, 140 Personen fassenden Theatersaal in den Blauen Saal der Stadthalle, der 695 Sitzplätze auswies. Das Publikum blieb dem Theater auch nach diesem Umzug treu, und man konnte sogar einen Zuwachs von 100 Besuchermitgliedern verzeichnen, und vor über 600 Besuchermitgliedern spielte man zweimal in jedem Monat der Spielzeit. Das Theater hatte damals einen Aktivenstamm von über 50 Mitgliedern und 28 Musikern. Die Spielzeit wurde nun auf sieben Monate festgelegt, und der Spielplan sah ein Schauspiel, zwei Lustspiele, ein Märchenspiel und drei Singspiele bzw. Operetten vor. Unter anderem wurden auf den von dem Theater errichteten Freilichtbühnen in Wolfhagen, Wilhelmsthal und auf dem Sensenstein Heimatstücke aufgeführt. Die Operettenabende erhielten unter der Leitung von Musikdirektor Hans Fuchs, einem gebürtigen Wiener (ehem. Kapellmeister am Theater zu Breslau und späterer Domkapellmeister zu Meißen), mit einem nunmehr 34 starken Liebhaberorchester besonderes Gepräge. Das Theater spielte bald an drei Abenden im Monat und setzte eine freie Aufführung (Generalprobe) für Rentner und finanziell Minderbemittelte an. Die Vorstellungen waren geschlossene Veranstaltungen. Es gab keine Abendkasse mit Kartenverkauf; nur die als Mitglieder eingetragenen Besucher waren zugelassen. Sie erhielten die Vereinszeitung „Das Wehlheider Hoftheater“ mit Programm. Die Spieler wurden nicht honoriert, jedoch wurde von dem Verein die Wohlfahrt unterstützt (Rotes Kreuz, Gesellschaftsabende für Rentner und Kinder). Aufgrund der gemeinnützigen Tätigkeit war dem Verein Steuerfreiheit eingeräumt.

   Während der Gastspielreisen des Kasseler Kleinen Theaters spielte man in dessen Räumen und führte einen größeren Betrag des Reinerlöses an die Theaterleitung ab. Dies geschah alles in der Zeit von 1928-1932, einer Zeit, in der das Wehlheider Hoftheater wohl einen seiner Höhepunkte des Wirkens erreicht hatte. Viele der Schauspieler konnten vom Wehlheider Hoftheater zur großen Bühne überwechseln. Der „Reichsbund für Volksbühnenspiele“, Berlin, zählt das Wehlheider Hoftheater mit zu den führenden Amateurtheatern in Deutschland. Zu den Theateraufführungen kamen nun auch Theaterfeste, die unter den verschiedensten Leitmotiven angepriesen wurden, so z.B. „Bei Teufels Großmutter“, „Die Manege kommt“, „Die Reise um die Welt“, „Das Wehlheider Hollywood“. Der weitere Ausbau des Theaters ruhte nicht. Neben dem Schauspielensemble verfügte es über eine eigene Ballettgruppe, ein 45 Mann starkes Orchester, Operettenpersonal, eine Chorvereinigung, technisches Personal, eine soziale Frauengruppe, eine Jugendbühne sowie eine eigene Pressestelle.

    Im Zuge der Gleichschaltung nach der Machtergreifung Hitlers drohte das Wehlheider Hoftheater schließlich völlig unter den Einfluss der NS-Kulturabteilung zu geraten. Ein Verbot der Vorstellungen wurde nicht ausgesprochen, allerdings gab man dem Theater unmissverständlich zu verstehen, dass die Aufführungen nicht mehr zeitgemäß seien. So entschloss man sich, nach dem 25-jährigen Jubiläum, die Vorstellungen einzustellen. Letzter glanzvoller Höhepunkt war eine Aufführung der „Frühlingsfee“ in 1937. Der reichhaltige Fundus wurde aufgelöst. Das Wehlheider Hoftheater spielte nicht mehr…

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